Vom Andachtsbild zum Kunstwerk


Vom Andachtsbild zum Kunstwerk Christiane Dressler Und Gerhard Charles Rump

Renaissance eines geschmähten Mediums: Viele Künstler entdecken die Hinterglasmalerei

Die Welt - 09.08.2008



Hinterglasmalerei? Klar, die hat es schon immer gegeben. Vom tiefen Mittelalter über den Barock bis ins frühe 20. Jahrhundert, in den so gern gesammelten Devotionalien. Als hohe Kunst der Kirchenmalerei wurde sie geschätzt, aber auch als privates Andachtsbild im Heiligenwinkel der Wohnstube. Allgemeine Anerkennung genoss die Kunstgattung in der Moderne jedoch nicht, wenngleich man sie reanimierte: im Jugendstil, von Gabriele Münter oder Chagall mit großartigen Fensterbildern.Totgesagte leben länger, behauptet Volkes Mund und sieht man sich heut auf dem Kunstmarkt um, hat es den Anschein, als sei eine alte Tradition neu erwacht. Denn Künstler verschiedener Generationen probieren zeitgleich und unabhängig voneinander neue Oberflächen aus, verbergen Handgemaltes in Kästen aus Glas oder bemalen Rückseiten von Acrylscheiben spiegelverkehrt. Cross-over-Techniken sind angesagt. Nach computergenerierten Motiven und Digiprints auf Leinwand nun eine spiegelglatte, fast unsichtbare Malerei?

Eine neue Oberflächensensibilität hat sich eingestellt, seit Fotografie tafelbildgroß der Malerei die Konkurrenz anbot. "Glatte, hochglänzende Haptik und farbliche Brillanz sind gefragt", so Michael Burges aus Düsseldorf, "die mit ölgetränktem Pinsel auf Leinwand nicht zu erzielen sind." Und wen wundert¹s, wenn sich der Betrachter vor seinen Bildern irritiert das Auge reibt: Malerei, Fotografie, Fläche oder Raum, was genau ist denn das farbige Ding an der Wand?

Um Wahrnehmungsschärfung durch die Auflösung des Bildes ging es dem musik- und religionswissenschaftlich ausgebildeten Künstler schon immer. In analytisch kalkulierten Serien entzieht er dem Betrachter das, was er eigentlich so gern sieht: Eine Geschichte auf Leinwand, den Geruch der Farbe, die Geste des Malers. "Ich mag keine Erzählung im Bild", sagt der Künstler. Ein unbefriedigender Zustand - fragt der Betrachter?

Das kommt drauf an, ob man sich der Farbenergie überlässt, ob man undefinierte Räume, unbequeme Blickwinkel und frei schwebende Bildverhältnisse mag. "Schließlich" so argumentiert der Künstler "besteht die Welt nicht aus festen Strukturen, sondern aus schwebenden Kräftefeldern der eher störanfälligen Art." Und das wollen die Bilder von Burges sein: eine farbliche Gesamtreaktion, ein entmaterialisiertes Kraftfeld, ein strukturelles Ereignis parallel zur Wirklichkeit. Logisch, dass sich dies nicht auf, sondern nur hinter der Leinwand ereignen kann, auf zeit- und techniktauglichem Untergrund.

Ein "Malunfall" war es, der Burges zu neuen Experimenten trieb. Er hat Farbe, ohne genau hinzusehen, auf Bilder, dem Boden, im Atelier verteilt, bis er das Licht anmachte, um aufzuwachen in einem Flash phosphoreszierender Farben mit Augen betäubendem Effekt. Der Entschluss stand: Farbdosis erhöhen, Malweise ändern. Gestische Malerei musste her, das Auslösen und Lenken des Zufalls bei frei fließender Farbkonstellation.

Strichfolgen in seinen neuen Bildern sind Spachtelspuren seitenverkehrt hinter Glas aufgebracht, spiral- und sternförmige Explosionen die vom Künstler gesetzten Signale für einen freien Lauf der Farbe, die vor Kraft strotzt. Ein Effekt, der ohne Glas nicht möglich wäre. Burges' Arbeiten kosten je nach Größe von 2100 bis zu 16 000 Euro.

Ganz anders Wolf Hamm (geb.1974), der in Bremen und Spanien lebt. Er zeichnet, was ein delirierender Wachtraum so hergibt: eine aus den Fugen gekrachte Welt mit Schattenmenschen, Dämonen und Killerwesen, ohne Zentrum und Halt, rotierend im freien Fall.

Die Kunstakademie Düsseldorf hat er als Meisterschüler von Anzinger verlassen, Förderpreise und Stipendien kassiert, Goya, Velazquez, Kunstgeschichte studiert und seine Karriere als 30-jähriger gestartet, dort, wo andere aufhören. Ein Spross der Spaß-Generation entpuppt sich als Guerillero wider den schönen Schein.

Beelzebub, Tod und Teufel, Apokalypse und Schmerz stehen auf dem Programm. Barock, Renaissance, Altdorfer, Dürer und Goya werden aufgemischt, nicht als Zitat, sondern als historisierende Paraphrase kombiniert mit Figuren, Themen und Material von heute.

Hamm nutzt die Zeichnung hinter Glas zur allmählichen Verfestigung von Gedanken. Malt Motive seitenverkehrt, legt Umrisse mit der Spritzpistole fest, malt drüber, bindet Malerei zur Collage ein, erzählt und fabuliert ohne Hierarchie der Bildelemente. "Beelzebub", so der Bildtitel, zeigt ein gekröntes Lamm vor Feuerhimmel und aufgewühlter Erdformation, darin ein Gemenge von Mensch, Tier, Natur, Fetzen von zerstörter Zivilisation, Auch "Knochensack" thematisiert apokalyptisches Szenario, eine verwüstete Stadt mit einer darüber schwebenden Figur - ein verirrter Messias, ein Erlöster? Das Erwachen aus dem Albtraum bleibt ein frommer Wunsch.

Bei Binder in München zeigt der Spanier Julio Rondo (geb.1952) die größten Formate aus Plexiglas: tafelbildgroß mit farbigen Lineaturen vor weiß milchigem Grund, hinter dem große geometrische Formen auf Leinwänden stehen. Die scheinbar absichtslosen informellen Kritzeleien hinter Plexiglas, entstanden im Alltag, beim Telefonieren vielleicht, sind mit der Pistole gesprüht und nicht korrigierbar. Bei Lichteinfall werfen sie Schatten, die das Bild in unbestimmte Tiefe ziehen. Der Künstler lebt in Spanien und Berlin, hat einen Lehrauftrag in Stuttgart. Die Arbeiten liegen zwischen 5000 und 16 000 Euro.

Auch Oliver Dorfer zieht es seit neuestem hinter das Glas. Er hat in seinen Werken ohnehin schon die glatte, Distanz schaffende Oberfläche gepflegt, die auch der Flächigkeit seiner Motivbehandlung adäquat ist. Eine Oberfläche, die die Bilder gleichsam versiegelt hat. Versiegelt scheint so nicht minder das Individuum des Künstlers, die persönliche Authentizität des Duktus.Animiert wird indes die Deutungshoheit des Betrachters, der sich fragen muss, welche Zeichen und wofür angeboten werden?

Das ist ganz entscheidend, denn Dorfer zeigt in seiner Tour de force im vorwiegend west-östlichen Symbolparcours die unterschiedlichen Bezüge zwischen Zeichentypen, ohne dabei lehrhaft zu werden. Durch die Hinterglas-Technik wird dieser Effekt gesteigert und die Bilder bekommen einen verstärkt objektorientierten Charakter, vor allem, wenn es sich um mehrteilige Bilder(Polyptychen) handelt.


Das Medium, so scheint es, hat wieder Zukunft.